Jusletter IT

Transparenz der Kontexte und die Rolle der Wahrheitssager

  • Authors: Marie-Theres Tinnefeld / Friedrich Lachmayer
  • Category: Articles
  • Region: Austria, Germany
  • Field of law: Legal Theory
  • Collection: Tagungsband IRIS 2014
  • Citation: Marie-Theres Tinnefeld / Friedrich Lachmayer, Transparenz der Kontexte und die Rolle der Wahrheitssager, in: Jusletter IT 20 February 2014
Die kollektiv verbindliche Lebenswirklichkeit scheint eine «gemachte Wirklichkeit» zu sein, erarbeitet durch Deutungsmonopole und durch zensierte Informationen. Keineswegs nur ein kognitives Thema, denn die Sinnkontexte sind als Softpower eine der Grundlagen der Herrschaftssysteme. Ein Paradigmenwechsel kann durch mehrere Ursachen herbeigeführt werden, unter anderem auch durch eine unerwartete Sachinformation, so wie dies etwa in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern geschieht, aber auch durch eine neue Deutung, durch das Ansprechen und Aussprechen im Kontext von «Worten der Wahrheit», wenn etwa Tiresias, der Seher von Theben, seinem König Ödipus neue Zusammenhänge sichtbar macht, oder wenn die Propheten zu den Königen gesprochen haben, oder wenn neuerdings Wahrheitssager auf verdrängte Kontexte aufmerksam machen. Die sogenannte Wahrheit kann in Fakteninformationen bestehen, die einen neuen Deutungskontext hervortreten lassen. Sie sind wie tektonische Fenster in die Kelleretagen der Macht. Die Geschichte der Aufklärung ist immer auch eine Geschichte der Interpretation von Wahrheit, die jenseits politischer oder wirtschaftlicher Macht zu finden ist. Die Informationsfreiheit des Bürgers ist ein notwendiger Baustein der Meinungsfreiheit und zum Kreis des Demokratieprinzips zählt. Bemerkenswert dabei ist, dass es den Meisten bewusst ist, dass von den Herrschenden in großem Stile und aus Machtkalkül die Grundrechte verletzt werden, aber dies ist ein Tabu, es wird nicht darüber gesprochen. Erst durch den Tabubruch der Wahrheitssager wird das Thema freigegeben und der Sturm der Entrüstung beginnt. Es ist dies weniger Wahrheitsfindung als Enttabuisierung. Repressive Systeme wie Absolutismus und Diktaturen haben die Meinungsfreiheit, – sie wird nicht von ungefähr als «Mutterrecht aller kommunikativen Grundrechte» angesehen und das Recht auf Privatheit ausgehöhlt. Sie haben damit Bürger politisch praktisch entmündigt, um angeblich «stabile» Sicherheitsstrukturen zu gewährleisten. Menschenrechtsbasierte Demokratien sollen dagegen Bürger in die Privatheit ihrer Gesinnungen und Theorien freilassen. Die digitale Revolution eröffnet potenziell eine unbegrenzte globale Öffentlichkeit. Sie nähert sich scheinbar einer Welt ohne Geheimhaltung, sie bricht Tabus aber schafft gleichzeitig neue.

Inhaltsverzeichnis

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