Liebe Leserinnen und Leser
In der aktuellen Ausgabe von Jusletter IT geht es um zwei Themen, die beide disruptiven Charakter haben: die Digitalisierung der Justiz und die Folgen von Technologiefortschritt.
Die Digitalisierung der Justiz ist zwar ein Prozess, der schon vor langer Zeit begonnen hat, aber mittlerweile wird klar, dass die Zukunft fundamentale Änderungen bringen wird. Der Unterschied zwischen einer volldigitalisierten Justiz und der heutigen Justiz wird grösser sein, als zwischen der heutigen Schweizer Justiz und der Justiz in jenen Ländern, in denen die Gewaltenteilung nur Fassade ist. Wohin das führen wird, ist heute noch weitgehend unklar. Absehbar hingegen ist, dass eine breit innerhalb der Justiz verteilte fachliche Kompetenz in digitaler Transformation die Qualität des Ergebnisses des Wandels bestimmen wird. Darum wäre ein Abwarten zwar theoretisch eine gute Option, aber nur dann, wenn es verbunden wäre mit einer intensiven Beobachtung, Analyse und Reflexion des Wandels im Ausland, ergänzt um Weiterbildung in digitaler Transformation für alle in der Justiz. Die Erfahrung lehrt uns aber, dass das Abwarten genau diese nützlichen Verhaltensweisen blockiert, weil deren Sinn nicht verstanden wird, solange nicht die Herausforderungen der digitalen Transformation im eigenen Alltag erlebt werden. Anders gesagt: Ohne Notwendigkeit, Wissen zu erwerben, fehlen sowohl der Wille als auch die Fähigkeit dazu. Und eine Justiz, deren Wissen nicht mit der Zeit geht, wird nicht nur im operativen Bereich über kurz oder lang Probleme bekommen, sondern als Justiz auch ihre eigentlichen Kernaufgaben schlechter erfüllen als zuvor. Wie auch bei Exekutive und Legislative hängt die institutionelle Qualität der Judikative vom Digitalisierungswissen ab, weil die Digitalisierung alle Bereiche des Lebens verändert, insbesondere auch die Handlungsmöglichkeiten der Akteure in Gerichtsverfahren.
Der Digitalisierungsfortschritt in der Schweizer, österreichischen und deutschen Justiz wird von Miriam Garbauer verglichen. Sie setzt hierbei ein besonderes Augenmerk auf mögliche Gründe, welche die Digitalisierung des Schweizer Justizwesens bremsen.
Martin Dumermuth und Sandra Eberle setzen sich mit den notwendigen und wünschenswerten rechtlichen Voraussetzungen für eine Digitalisierung der Justiz und mit deren politisch-zeitlicher Realisierbarkeit auseinander.
Von Martin Schneider und Thomas Gottwald wird ein kurzer Überblick über die österreichische strategische Initiative Justiz 3.0 geboten.
Ergänzt wird der Schwerpunkt E-Justiz durch die im November 2016 an der Tagung für Informatik und Recht aufgenommenen Vorträge zum Thema «Eine Vision für eJustice in der Schweiz»:
- Peter Münch / Miriam Garbauer, eJustice in der Schweiz – Stand und kritische Erfolgsfaktoren (Podcast)
- Daniel Gruber, Eine Vision für eJustice in der Schweiz (Podcast)
- Holger Radke, Wie mir die eAkte meinen Arbeitsalltag als Richter erleichtert (Podcast)
- Marc Oser, Arbeiten mit der eAkte im Gerichtsalltag (Podcast)
- Jens Piesbergen, Fortschritte bei der Digitalisierung in der Schweiz – Aktivitäten und Ausblicke (Podcast)
Der Beitrag von Bettina Mielke und Christian Wolff liegt im Überschneidungsbereich beider eingangs erwähnten Themen. Sie beschäftigen sich mit dem Potential und der Wirkung juristischer Technologien.
Das zweite Thema sind die rechtlich relevanten Wirkungen des Technologiefortschritts. Einerseits entsteht durch neue Technologie neuer Regulierungsbedarf, vor allem dann, wenn sie eine disruptive Wirkung auf Wirtschaft, Gesellschaft oder Staat haben. Anderseits werden Technologien entwickelt, die es Juristen ermöglichen, ihre Disziplin praktisch weiterzuentwickeln, was wiederum auch neue Regulierungsfragen aufwerfen kann. Eine stetige Auseinandersetzung mit disruptiv wirkenden Technologien ist deshalb zwingend notwendig. Dabei ist der Bedarf nach Analyse, Reflexion und Diskussion derzeit im Bereich Blockchain-Technologie besonders dringlich.
Ralf Huber setzt sich mit dem aktuellen Potential von Technologien zur Reduktion der Compliance-Aufwände in der Finanzindustrie auseinander. Er fragt, welche Vorteile der Einsatz von Technologie bringen könnte und unter welchen Voraussetzungen diese erfolgreich eingesetzt werden kann.
Mit den Regulierungsherausforderungen, die durch die Blockchain-Technologie und ihre zukünftige Nutzung entstehen, beschäftigt sich Rolf H. Weber. In diesem Zusammenhang sei auch auf einen kürzlich in Jusletter erschienen Beitrag verwiesen (Barbara Graham-Siegenthaler / Andreas Furrer, The Position of Blockchain Technology and Bitcoin in Swiss Law, in: Jusletter 8. Mai 2017).
Lee Bacon und George Bazinas diskutieren die rechtlichen Aspekte eines speziellen Designs innerhalb der Blockchain-Technologie, nämlich der Smart Contracts. Sie prüfen zudem, bis zu welchem Ausmass traditionelle rechtliche Verträge durch Smart Contracts ersetzt werden können.
Die rechtlichen Folgen der neuen technischen Möglichkeiten im Voice-Cloning werden von Małgorzata Kiełtyka, Jakub Gładkowski, Anna Bednarska, Mariusz Bujacz und Kamil Trzaskoś beleuchtet, der Schwerpunkt liegt hierbei auf dem polnischen Recht.
In keine der beiden diese Ausgabe bestimmenden Themen fällt der Beitrag von Gertraud Redl und Philipp Klausberger. Sie beschäftigen sich mit einem E-Government-Thema, der elektronischen Einbringung bei der österreichischen Finanzmarktaufsichtsbehörde.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.
Bern, im Mai 2017
Prof. Dr. Reinhard Riedl
Berner Fachhochschule
In eigener Sache: Verpassen Sie nicht den bevorstehenden Jusletter IT Flash zum Thema «Digitalisierung des Rechtsmarktes». Die Ausgabe wird am 13. Juni 2017 publiziert.
Zum selben Thema findet am 29. Juni 2017 das Weblaw Forum LegalTech statt – die Teilnahme ist sowohl vor Ort als auch via LiveStream möglich.