Liebe Leserinnen und Leser
Was ist Wissenschaft? Kaum jemand ist berufener, diese Frage zu beantworten, als der Philosoph Karl R. Popper. Nach ihm geht es dabei [unter anderem] um «... die Methode, kühne Hypothesen aufzustellen und sie der schärfsten Kritik auszusetzen ...». Im wissenschaftlichen Alltag konzentriert man sich heute fast ausschließlich auf den zweiten Schritt, die Kritik. Wo bleibt aber der erste: die kühne Hypothese?
Dies waren die Gedanken, die dazu führten, eine möglichst breite Vielfalt von theoretischen und praktischen Beiträgen in dieses Jahrbuch aufzunehmen, aber auch den Brückenschlag zu anderen Disziplinen zu wagen, dem etwa die Integration eines Science-Fiction-Teils diente. Die dadurch angeregte wissenschaftliche Kreativität soll zu den erwähnten kühnen Hypothesen führen …
Ansonsten ist die Zielsetzung des Jahrbuchs – bereits das fünfte seiner Art – gleich geblieben: «Die im Informationszeitalter unentbehrlichen wissenschaftlichen und praktischen Leistungen der Rechtsinformatik sollen einem breiten Publikum in umfassender und gut lesbarer Form vorgestellt werden.» Das auch dieses Jahr wieder mehr als gut besuchte Internationale Rechtsinformatik Symposium (IRIS 2004) in Salzburg war auch diesmal der «Lieferant» herausragender Beiträge. Das Jahrbuch ist in 10 Themengruppen gegliedert:
- Theorie der Rechtsinformatik und Rechtstheorie
- e-Government
- Wissensbasiertes Prozessmanagement in Verwaltungsnetzwerken
- e-Demokratie
- Rechtsinformation und e-Publishing
- IT-Anwendungen
- e-Learning
- e-Commerce
- Urheberrecht
- Telekommunikationsrecht
- Science Fiction und Recht
In der Theorie der Rechtsinformatik hat mit den juristischen Ontologien die Formalisierungsdebatte wieder stärker an Bedeutung gewonnen. Die meisten Beiträge im Schwerpunkt Rechtstheorie erscheinen dieses Mal gesondert im Tagungsband des Kolloquiums zum 70. Geburtstag von Professor Lothar Philipps.
Die Beiträge zum e-Government stehen unter den Schwerpunktthemen E-Government-Gesetz und Bürgerkarte und zeigen die Vielfalt der praktischen Anwendungen.
Im wissensbasierten Prozessmanagement in Verwaltungsnetzwerken liegt der Fokus auf den Möglichkeiten, Verwaltungsprozesse übergreifend durch Modellierungskonzepte, Geschäftsprozessmanagement sowie Integration von Verwaltungswissen zu unterstützen.
In der e-Demokratie geht es neben Fragen der technischen und rechtlichen Infrastruktur um die Erleichterung der Stimmabgabe für Auslandsbürger durch e-Voting.
In der Rechtsinformation ist die Zweckverschiebung der Rechtsinformationssysteme bemerkenswert. Die Notwendigkeit des Zugangs zum Recht sowie zu öffentlichen Dokumenten gibt Rechtsdatenbanken die zentrale Rolle, kostenlos und effizient eine Unzahl von Anfragen zu elektronischen Rechtsdatenbanken zu erledigen. Fragen der Performance sowie des Medienwechsels bedingen eine oft sehr umfassende Umgestaltung dieser Systeme.
Die IT-Anwendungen sind stark mit dem e-Government verknüpft und beschäftigen sich mit elektronischen Ämtern, dem Rechtsverkehr, Steuersachen, der Universität etc. Das umfassende Leistungsangebot der Österreichischen e-Justiz ist bemerkenswert.
E-Learning bleibt aktuell, wobei das Ziel weniger der Ersatz als die Ergänzung der traditionellen Lehre im Sinne von Blended-Learning ist.
E-Commerce ist schon lange kein rein theoretischer Forschungsgegenstand mehr, sondern beschäftigt sich nun mit der praktischen Umsetzbarkeit. Im Immaterialgüterrecht ist der beste Schutz von digitalem Wissen das Thema. Im Telekommunikationsrecht zeigt sich die verstärkte Bedeutung privatrechtlicher Regulierung.
Die wissensbasierte Gesellschaft und das Recht – eine wohl treffende Umschreibung des Zentralthemas der Rechtsinformatik – kommt langsam, aber nachhaltig. Alle Bereiche passen ihre Prozesse dem Umgang mit Information und Wissen an und streben nach Effizienzsteigerung durch Informatisierung. Das Recht ist sowohl bei der Gestaltung der Prozesse, aber auch – und noch mehr – in der Schaffung des rechtlichen Rahmens stark gefordert. In diesem Jahrbuch soll ein umfassender Überblick über diese neuen Weichenstellungen angeboten werden.
Wien, im Juli 2004
Erich Schweighofer, Günther Kreuzbauer, Doris Liebwald und Thomas Menzel